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Die unsichtbaren ethnischen Minderheiten Vietnams


AUS DER PRINTAUSGABE VON THE ECONOMIST, ASIEN EDITION

Das Fortbestehen bitterster Armut in Vietnams Minderheitenregionen liegt in der Verantwortung der Kommunistischen Partei

Xu Xeo Gia kämpft täglich ums Überleben in seinem Heimatort Pho, ein abgelegenes Dorf in den Bergen Nordvietnams. Herr Gia gehört zur ethnischen Minderheit der Hmong. Er ist für die staatlichen Fördermittel, die seine Familie für Bildung und Gesundheitsversorgung erhält sehr dankbar. Aber er müht sich ab, auf einem sehr geringfügigen Stück Land sein Vieh aufzuziehen und Reis anzubauen. Das befremdliche ist, dass er ca. US$ 25 für den Verkauf eines Schweins verdient, was gerade reicht, um seine Kinder einzukleiden und seine Gläubiger in Schach zu halten. „Das Leben verbessert sich, aber nicht schnell genug“, sagt er.
 
Genauso ergeht es auch den meisten Menschen der anderen 53 ethnischen Minderheiten Vietnams. Sie haben nicht annähernd so viel, wie in den Städten, wo sich nach mehr als zwei Jahrzehnten wirtschaftlichen Wachstums eine autokaufende Mittelschicht geformt hat.

Ethnische Gruppen stellen etwa 12 Mio. der Gesamtbevölkerung Vietnams, ca. 90 Mio. , aber gehören auch mit über 40% zu den ärmsten. Sie leben hauptsächlich in ländlichen Gebieten, teilweise auch weit oben in den Bergen. Bei ihnen herrscht eine höhere Analphabeten- und Schulabbruchrate im Vergleich zur ethnischen Mehrheit der Kinh*, die dazu neigt Minderheiten als eine Unterklasse zu behandeln. Eine Studie ergab, dass Arbeiter ethnischer Minderheiten 25% weniger für dieselbe Arbeit verdienten, als ihre Kinh Kollegen.

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Im Bewusstsein der ausweitenden Ungleichheiten zwischen Kinh und der restlichen Bevölkerung hat sich die Regierung seit Jahren bemüht Straßen, Schulen und Krankenhäuser ins Hinterland zu bauen, wo einige der ärmsten ethnischen Gruppen Vietnams leben. Beratungen in Landwirtschaft und andere Formen der Entwicklungshilfe haben Einzug gehalten.

Le Quang Binh von iSEE, einer Menschenrechtsgruppe in Hanoi, sagt, obwohl die Regierungspolitik gegenüber ethnischen Minderheiten bisher herablassend war, gestaltet die National Versammlung, eine Reihe von Beschlüssen für die Bürgerrechte, die theoretisch viel verbessern könnten.

Viele existierende Programme für ethnische Gruppen sind allerdings plump. In dem Dorf Pho erhält Herr Gia kostenlos Düngemittel, aber was er wirklich benötigt, sind Pestizide, um den Pflanzenbefall zu bekämpfen. Woanders werden Ferkel und Reis Saat, die eigentlich für wärmere Temperaturen im Tiefland gedacht ist, an Bauern oben im Hochgebirge verkauft. Schulbücher werden überwiegend eher nur in Vietnamesisch und nicht in einer lokalen Sprache herausgegeben. Diese Trennung scheint in der allgemeinen Unnahbarkeit ihre Wurzeln zu haben, sogar der Rassismus zwischen Kinh und Minderheiten. In Vietnams staatlich kontrollierter Presse grassieren ethnische Klischees.

Genauso besorgniserregend ist, dass Vietnams ethnische Gruppen unzählige Hektar an Kinh für Siedlungs- und Gewerbeprojekte gegen unangemessenen Ausgleich überlassen mussten. Landraub ist besonders im Nordwesten und im zentralen Hochland üblich, wo staatliche Unternehmen das Eigentum einfordern, um Minen, Plantagen und Staudämme zu bauen. Die ethnischen Minderheiten dort beklagen, dass sie geschlagen, verhaftet und schikaniert werden, aufgrund ihrer Zugehörigkeit zu Freikirchen oder politischen Untergrundgruppen.

Zu den am stärksten verfolgten gehören die Montagnards, eine zum größenteil christliche Minderheit im mittelvietnamesischen Hochland, dessen Mitglieder öffentlich gegen Landraub und religiöser Unterdrückung protestiert haben. Wie die Hmong sind die Montagnards auch zur Zielscheibe für Repressionen geworden, insbesondere weil viele der älteren Generation einst gemeinsam mit den Amerikanern und südvietnamesischen Truppen im Vietnamkrieg gegen die Kommunisten kämpften.

Jede wahrgenommene Minderheit, die die Hegemonie der Kinh herausfordert ist für die Regierung ein Blindgänger, erklärt Stale Torstein Risa, ehemaliger norwegischer Botschafter in Vietnam.

Nach Aussage des Norwegers betrachtet die Kommunistische Partei Vietnams ethnische Minderheiten als allerwichtigsten Punkt in der nationalen Sicherheitspolitik noch über der territorialen Souveränität im Südchinesischen Meer, wo Vietnam sich Sorgen über die Gebietsbeanspruchungen Chinas macht.

Ein anderer Diplomat sagt, dass die Partei ‚systematische Diskriminierung und Ausschließung‘ gegen jede ethnische Minderheit, die ihre Autorität bedroht, betreibe.

Phil Robertson von Human Rights Watch meint, dass die Regierung ethnische Minderheiten von der Öffentlichkeit fernhalten will aus Furcht, dass sich ein internationaler Bekanntheitsgrad entwickeln könnte oder separatistische Kampagnen, wie Tibeter und Uiguren, die sich so außerhalb Chinas Gehör verschaffen konnten. Die Wahrscheinlichkeit ist schwer nachzuweisen, obwohl es wahr ist, dass vietnamesische Behörden ausländische Hilfsorganisationen und Konsulate hindern in den meist ruhelosen Ecken des Nordwestens und im zentralen Hochland zu arbeiten.

Noch ist das Hauptanliegen der meisten Minderheiten weniger der Beginn einer Revolution, sondern eher, wie man über die Runden kommt; sie mühen sich ab. Bittere Armut ist nur zu offensichtlich in Dörfern im zentralen Hochland. In Diom B, wo viele zur Minderheit der K'ho gehören, sagt die Bäuerin Ma Duong, dass das Leben sehr hart wurde seit die Kinh das Land ihrer Familie vor vier Jahrzehnten besiedelten. Anstatt ihren eigenen Reis heutzutage anzubauen, kauft sie ihn von ihrem Lohn von US$ 6, den sie auf Plantagen verdient, welche im Besitzt der Kinh sind. Ihr Familien Bungalow, der nur einen Raum hat, verfügt über kein fließendes Wasser. Lokale Beamte gaben ihr den Ratschlag einen Brunnen zu graben, aber Ma Duongs Schaufel stieß nur auf Stein.
 
*Kinh ist banal gesagt die Ethnie, die den Vietnamesen repräsentiert.


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