Di03192024

Letztes UpdateSa, 27 Jan 2024 1pm

Back Aktuelle Seite: Wissenswertes Wissenswertes Geschichte Unser Little Saigon: Teil 1 - Wie alles begann

Unser Little Saigon: Teil 1 - Wie alles begann

Wohl kaum ein anderer Ort im kalifornischen Orange County hat sich seit dem Ende des Vietnamkrieges so stark verändert, wie die Stadt Westminster, die von den meisten Vietnamesen umgangssprachlich einfach nur als Little Saigon bezeichnet wird. In unserer mehrteiligen Serie „Unser Little Saigon“ befassen wir uns mit dem Ursprung, der Entwicklung, den Licht- und Schattenseiten, sowie der Zukunft von Little Saigon.


Wie alles begann

Als Saigon am 30.April 1975 an die nordvietnamesischen Kommunisten fiel und Nordvietnams Ziel erreicht war beide Landesteile unter kommunistischer Diktatur zu vereinen, versuchten sofort viele Südvietnamesen das Land zu verlassen. Ihre Heimat hatten sie verloren und waren nun der Willkür eines Unrechtsstaats ausgesetzt.

Wer zu den glücklichen gehörte konnte auf der Flucht vielleicht noch ein paar Habseligkeiten mitnehmen, doch die meisten konnten es nicht. Sie flüchteten mit den Dingen, die sie gerade am Körper trugen.

„Ich wusste, dass ich einen Teil meines Lebens zurücklasse“, erinnert sich der pensionierte Richter Nho Trong Nguyen aus Orange County, der in einen der letzten Hubschrauber kletterte, die vom US-Konsulat in Saigon wegflogen. „Ich schaute hinunter auf die Stadt. Die Lichter waren so schön. Aber ich wusste, dass ich diese Stadt nie wiedersehen würde“, erklärt er.

Mehr als 125 000 Menschen schafften es innerhalb weniger Wochen zu flüchten. 50 000 von ihnen kamen über das Feldlager Camp Pendleton ins südliche Kalifornien, um sich auf ein neues Leben vorzubereiten.

Camp Pendleton 1975

Tag für Tag landete ein Flugzeug nach dem anderen auf der Luftwaffenbasis in El Toro. Marinesoldaten errichteten eine massive Zeltstadt an den staubigen Hängen von Camp Pendleton und schöpften Schalen mit Rindernudelsuppe, Butternudeln und gedämpften Reis mit Gurkenscheiben. Einige Soldaten bezahlten aus eigner Tasche die Stäbchen für die Flüchtlinge.


Nicht jeder war willkommen

Roy Mittelstead aus Buena Park sprach das aus, was wahrscheinlich viele dachten: „Wenn sich die ganze Situation beruhigt hat, dann sollten die Leute wieder zurück in ihre Heimat gehen, wenn sie es wollen. Wir sollten hierfür Flugzeuge anbieten.“

Doch ihre Heimat Südvietnam existierte nicht mehr. So sammelten sich die Flüchtlinge, sicherten und bauten sich eine neue Heimat auf – einen Außenposten im südlichen Kalifornien als Symbol des Trotzes und der Hoffnung.

„Wir assimilierten uns sehr schnell, nachdem wir alle das Unglück durchlebt hatten. Als wir in die Vereinigten Staaten eintauchten, nahmen wir es wie die Fische im Wasser“, sagt der ehemalige Abgeordnete Van Tran.

Aus einem Abschnitt mit Erdbeerfeldern und Schrottplatzflächen in Westminster erschufen sie [die südvietnamesischen Flüchtlinge] etwas, das zur kulturellen Hauptstadt aller Exilvietnamesen werden sollte – Little Saigon.

Anfangs schienen sie nicht ins konservative Bild von Orange County zu passen. Man begegnete ihnen in fast allen Situationen ablehnend, beschuldigte sie und erklärte, dass sie an sich arbeiten müssten, um so zu werden, wie die Einheimischen. Doch es stellte sich heraus, dass die Vietnamesen mit ihrer antikommunistischen Politik, dem wettbewerbsfähigen Geist und dem unternehmerischen Herz die gleichen Prinzipien besaßen.

Es gibt viele Geschichten, wie jene von Hung Trinh,76, aus Westminster, der zwei Jobs hatte. Er feudelte Gänge und arbeitete als Tankwart für $2,50 pro Stunde, um seine vier Kinder zu versorgen.

„Ich war glücklich“, erzählt der ehemalige Kriegsgefangene und Flüchtling. „Ich habe Freiheit.“

Schon als das erste Flugzeug damals in El Toro landete, begannen die Vietnamesen sich in die amerikanischen Strukturen zu verweben. Jedes Jahrzehnt brachte neue Rückschläge, Misserfolge und interne Machtkämpfe, gefolgt von Erfolgen. In den vergangenen 40 Jahren hat diese großartige Einwanderungswelle – wie die der Iren, der Italiener und anderen vor ihnen -- unauslöschliche Spuren hinterlassen. Sie veränderten für immer Orange County.


AUF BOLSA

Das Leben begann ganz unten bei denen, die zuerst kamen. Ein südvietnamesischer Oberst der Armee schruppte in Amerika Toiletten, ein südvietnamesischer Industrieller war als Tankwart tätig, ein Kongressabgeordneter aus Südvietnam arbeitete als Putzhilfe und viele andere filetierten Fische, spülten Teller oder verkauften Trödel um zu überleben.

„Hin und wieder nahm mich Papa und meine Schwester mit zu Kmart“, erzählt der 37-jährige Phu Nguyen aus Fountain Valley, dessen Familie heutzutage im Geldtransfergeschäft mit 30 US-Niederlassungen und 100 Angestellten in Vietnam tätig ist. „Wir sprangen in die Müllbehälter, suchten ob jemand Kleidung weggeworfen hatte und ob wir diese tragen könnten.“

Dung Trinhs Familie kam mit nichts, sie bezogen ein verlassenes Gebäude des Christlichen Vereins Junger Frauen in Long Beach.

„Im Kindergarten war das einzige, was ich in Englisch sagen konnte: Ja und nein“, erklärt der 46-jährige Trinh, die heutzutage medizinische Leiter der Memorial Care Medical Group in Mission Viejo ist. „Wenn irgendjemand mit mir sprach, dann antwortete ich nach dem Zufallsprinzip mit – ja oder nein- und die Leute drehten durch.“

Im Jahr 1978 gab es nur ein paar geschäftstüchtige Flüchtlinge, die Gewerbe entlang eines geknechteten Abschnitts der Bolsa Avenue errichteten. Die Straße war von Schrottplätzen, Werkstätten und Ackerflächen geprägt.

Danh Quach nahm ein Darlehen von $37 000 auf, um eine Apotheke zu eröffnen. Es war das erste Geschäft, das einem Vietnamesen gehörte und sich in einer Einkaufsstraße gegenüber einer japanischen Kindertagesstätte und einem Erdbeerfeld befand.

„Um die Mittagszeit gab es keinen Ort, um Essen zu gehen, keine Restaurants“, erklärt der heute 76-jährige Apothekenbesitzer Danh Quach.

Sein Nachbar, ebenfalls ein Flüchtling, war ein ausgebuffter Immobilienmakler namens Frank Jao. Mit seiner Hilfe sollten bald diverse vietnamesische Restaurants, Geschäfte und Büros entstehen.

Im gleichen Jahr eröffnete neben der Apotheke eine Redaktion einer vietnamesisch sprachigen Zeitung, die bis heute als Nguoi Viet bekannt ist. Der Redakteur verteilte die ersten Ausgaben noch persönlich von Tür zu Tür.

„Verehrte Leser, sind Sie aus Kalifornien? Falls ja, dann sind Sie im Zentrum der vietnamesischen Exilgemeinschaft. Es gibt keinen anderen Ort, wo wir so zahlreich sind, wie in Kalifornien“, titelt die Erstausgabe der Tageszeitung Nguoi Viet 1978.

Eine kleine Gemeinschaft ließ sich bald um den Que Huong Gemüseladen, dem Hoa Binh Markt und den Restaurants Thanh My und Hoai Huong nieder. Auch entstand ein Büro einer Lebensversicherung, die von den Brüdern Tony und Dean Lam geführt wird, die im weiteren Verlauf dieser Serie noch eine wichtige Rolle spielen werden.

Bis zu jener Zeit nannte noch keiner das Viertel Little Saigon, man nannte es einfach nur „Bolsa“.


DIE ZWEITE WELLE

Der Ursprung Little Saigons kann auf das Jahr 1978 datiert werden, doch der Erfolg dieses Ortes ist auf das Jahr 1980 zurückzuführen.

Es ist die Zeit, als die große zweite Welle von Vietnamesen – die Boatpeople - begann anzukommen. Die Einwohnerzahl von Flüchtlingen in Westminister (2 400) lag zunächst hinter denen von Santa Ana (6 203), Garden Grove (3 338) und Huntington Beach (2 779). Stieg dann aber an, da Bolsa das Gravitationszentrum wurde, um Essen zu gehen, sich zu treffen, für Geschäfte und um Neuigkeiten von zu Hause zu erfahren.

„Meine Freunde und ich waren glücklich hier die ersten zu sein und konnten ihnen helfen“, sagt der Apotheker Danh Quach, der Gebrauchshinweise in Vietnamesisch auf Tablettenverpackungen schrieb. „Wir schauten auf das leere Land, die Erdbeerfelder und wir dachten ‚Wir müssen etwas für unsere Landsleute machen, da viele Vietnamesen kommen.‘“

Es war der Start eines Grundstückbooms.

Quach, Jao und andere frühe Pioniere kauften billig das Land entlang Bolsa auf. Waren es 1979 noch 30 vietnamesische Geschäfte, so wuchs die Zahl 1981 auf einige hundert.

Die Furcht ging bei ortsansässigen Bewohnern um.

littlesaigon1a

„Das ist hier wie in einer regulären vietnamesischen Stadt“, erzählte ein Bewohner des Bolsa Verde Estates Trailer Parks der Tageszeitung OC Register im Jahr 1981.

Im Mai desselben Jahres reichten 105 Einwohner Westminsters eine Petition bei der Stadtverwaltung ein, damit keine weiteren Gewerbelizenzen an vietnamesische Einwanderer ausgestellt werden. Der Stadtrat lehnte die Forderung ab. Rassistische Spannungen flammten auf.

Es gab Berichte, dass Autofahrer obszöne Gesten und rassistische Beleidigungen gegenüber Vietnamesen auf Bolsa machten. Ein bekannter Aufkleber für Stoßstangen titelte: „Wird der letzte Amerikaner, der Garden Grove verlassen muss, die Flagge mitbringen?“

Gerüchte zirkulierten, dass Vietnamesen für erschwingliche Wohnräume, für Sozial- und Ausbildungsprogramme bevorzugt würden. Im Oktober 1981 rief der Bürgermeister von Garden Grove Elerth Erickson zu einer Dringlichkeitssitzung, dort beschuldigte er die örtlichen Flüchtlinge, dass diese für den Ausbruch von Tuberkulose und Lepra verantwortlich seien.

Der zuständige Beamte der Gesundheitsstelle des Kreises widerlegte die Anschuldigungen Ericksons und Pastor Fletcher Davis aus Garden Grove bezichtigte den Bürgermeister „Lügen zu verbreiten“.

Die gesellschaftliche Spannung im OC County erreichte ihren Höhepunkt, wie amtliche Berichte dokumentierten. Die Spannungen in der Gemeinde hätten zu „gewalttätigen Auseinandersetzungen“ führen können.

Im Jahr 1981 strömten pro Monat 1 000 Flüchtlinge nach Orange County ein, darunter auch die Familie einer Fünfjährigen, die einmal die erste vietnamesisch-amerikanische Senatorin Kaliforniens werden sollte. Aber die Kosten der Flüchtlingshilfe besorgten den Verwaltungsrat.

Die Rätin Harriett Wieder forderte die Bundesregierung auf ein Moratorium zu verhängen und sagte: „Dieser Landkreis kann keine weiteren Flüchtlinge eingliedern, wenn der Zustrom nicht unterbrochen wird.“

Aber weiterhin kamen Flüchtlinge und Bolsa boomte.

Ein Streifzug durch die heutige Bolsa Avenue



Siehe auch:
Unser Little Saigon: Teil1 - Wie alles begann
Unser Little Saigon: Teil2 - Die Schattenseiten zeigen sich
Unser Little Saigon: Teil3 - Aufgeteilte Gemeinde
Unser Little Saigon: Teil4 - Der Wandel


Quelle:
Auf Basis des Originals „How they became us”, OC Register 2015
http://www.ocregister.com/articles/vietnamese-659290-saigon-little.html