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Warum Vietnam eine freie Presse braucht

AUS DER ÜBERSETZUNG DES ORIGINALARTIKELS VON NGUYỄN CÔNG KHẾ, SÀI GÒN, VIỆT NAM

Die vietnamesische Regierung muss den Medien freies Arbeiten ermöglichen. Das ist für die weitere wirtschaftliche und politische Liberalisierung des Landes wichtig, aber auch für die Kommunistische Partei Vietnam (KPV), die die Unterstützung der Menschen für ihr eigenes Überleben braucht.

Vietnams Medienlandschaft hat sich innerhalb der vergangenen fünf Jahre stark verändert und die KP hat viel von ihrem Einfluss in diesem Bereich verloren, was weitreichende Folgen hat.

nguyen cong khe

Mittlerweile gibt es hunderte offizielle Medienagenturen, die alle Regierungseigentum sind und alle durch das Ministerium für Information und Kommunikation und seinen örtlichen Nebenstellen überwacht werden. Alle leitenden Redakteure sind nach sorgfältiger Überprüfung durch die Regierung und der KP installiert worden.

Vietnam hat auch einige sogenannte „private" Agenturen, die TV Sendungen produzieren, Onlinenachrichtenportale und lokale Printausgaben ausländischer Zeitschriften, wie z.B. Esquiere und Cosmopolitan veröffentlichen. Aber private Anbieter sind verpflichtet mit staatlichen Institutionen zusammenzuarbeiten, d.h. sie müssen auch auf die erforderliche Zensur achten, die kontinuierlich auf Nachrichtenkategorien erweitert wird, die nach Auffassung der Regierung als heikel angesehen werden. Darunter sind Themen, wie die Beziehungen zu China, Konflikte über Eigentumsrechte von Ländereien oder der Gesundheitszustand innerhalb des kommunistischen Kaders. Mit steigender Anzahl liefern die Medienagenturen zensierte Nachrichten.

Die vietnamesische Journalistin Phạm Đoan Trang zur Zensur in Vietnam (Mai 2014; dt. Untertitel)

Pham Doan Trang on censorship in Vietnam (German Subtitles) from Villa Aurora on Vimeo.

 

Die Leser, insbesondere junge Menschen, haben sich auf der Suche nach weniger Propaganda scharenweise von den staatlichen Medien abgewandt. Die Auflagen und Erträge der Werbeeinnahmen der beiden bekanntesten Tageszeitungen Tuổi Trẻ und Thanh Niên sind nach amtlichen Angaben seit 2008 um fast 75% zurückgegangen. Andere Printmedien sind zu Boulevardzeitungen geworden und versuchen mit Sensationsberichterstattung über Skandale den Leserschwund aufzuhalten.
 
Stattdessen wendet sich das Interesse der vietnamesischen Öffentlichkeit ausländischen Nachrichtenquellen zu, die leicht online abgerufen werden können. Facebook und andere soziale Medienplattformen sind ebenfalls aufgeblüht. Einige Intellektuelle und ehemalige Parteimitglieder betreiben ihre eigenen Blogs auf denen sie offen die Regierung kritisieren und damit täglich zehntausende Besucher anziehen. Obwohl die Regierung zunächst versucht hatte mit Hilfe spezieller Firewalls soziale Plattformen zu blockieren, waren Notlösungen zur Umgehung der Sperrung leicht zu finden. (* Vietnams Regierung gab im Frühjahr 2015 den Versuch auf Portale wie Facebook zu blockieren.)

Aber das Aufkommen alternativer Informationsquellen ist ein Problem in seiner eigenen Form, da es nicht gleichmäßig zuverlässig ist. Die Öffentlichkeit, darunter Intellektuelle, ist so misstrauisch gegenüber staatlichen Medien und der Regierung geworden, dass oft Anschuldigungen zu schnell akzeptiert werden, selbst wenn diese nicht schlüssig sind.

Viele Bücher, die in den vergangenen Jahren veröffentlicht wurden, fordern das Offenlegen von Staatsgeheimnissen zu faktisch allen großen Angelegenheiten - von der Herkunft der KP bis zur epischen Schlacht von Điện Biên Phủ gegen Frankreich, von Chinas wirklichen Absichten bezüglich Vietnam bis zum Privatleben von Hồ Chí Minh.

So wirft das aktuell erschiene Buch „Đèn Cù“ von Trần Đĩnh Fragen zu „Onkel“ Hồs nationalistische Legitimation auf und macht ihn direkt für die erzwungenen Landreformen in den Jahren 1953-56 verantwortlich, bei denen mehr als 170 000 Menschen getötet wurden, sowie das Beiwohnen von Schauprozessen an wohlhabenden Großgrundbesitzern.

Die Partei und die Regierung neigen dazu die Behauptungen nicht zu widerlegen, stattdessen setzen sie auf die Aufrechterhaltung überholter Kontrollformen und einem autoritären detailorientierten Führungsstil, der sich mit trivialen Dingen, wie der Ausschnitttiefe von Dekolletés bei Kleidern von Sängerinnen befasst. Es zeigt den Mangel an Vertrauen und untergräbt die Glaubwürdigkeit der Partei, dazu gehören auch entscheidende nationale Angelegenheiten, wie die Bekämpfung von Korruption und das Zügeln von Chinas regionalen Ambitionen.

Korruption ist ein Hauptthema, das auch in Vietnam im Sektor der sehr hohen öffentlichen Schulden mitwirkt, darunter fallen hohe Zinsen auf Notkredite und ineffiziente Staatsbetriebe. (Die öffentlichen Schulden nähern sich rapide der Grenzmarke von 65% des BIP, welche von der Regierung festgelegt wurde). Die Partei, die Regierung und das Parlament haben die Bekämpfung der Korruption zur obersten Priorität erklärt. Aber nach so vielen Jahren der Medienkontrolle ist das Misstrauen in der Bevölkerung gegenüber der Regierung und ihrer Glaubwürdigkeit gewachsen.

Immer wenn ältere Funktionäre und Unternehmensleiter wegen Bestechung verhaftet werden, nimmt die Öffentlichkeit an, dass es das Ergebnis einer parteiinternen Absetzung sei.

Der Mangel an Medientransparenz ist auch ein Problem mit Vietnams Konflikten gegenüber unserem jahrhundertealten Erzfeind China. Im Mai 2014 positionierte die chinesische Regierung eine Ölbohrinsel von den Paracel-Inseln im Südchinesischen Meer in die vietnamesische Sonderwirtschaftszone. Noch jetzt fühlen sich viele von uns angeschlagen durch die umgehende Antwort der vietnamesischen Regierung: Der Außenminister bezeichnete die chinesische Aktion zunächst als „schamlos", aber dann wiederholte der Sprecher des Ministeriums lediglich immer und immer wieder sanftmütig, dass China sich aus Vietnams „unumstrittenem Seegebiet" zurückziehen muss.
 
Berichte über diese Angelegenheiten in den Mainstream-Medien waren ebenfalls verstummt, d.h. die öffentlichen Diskussionen wurden vom extremen Nationalismus antichinesischer Demonstranten und aggressiver Onlinepetitionen, an denen Akademiker und ehemalige Parteimitglieder (darunter auch ein vietnamesischer Botschafter aus China) beteiligt waren, dominiert. Spekulationen machten in Blogs die Runde über ungehörige Abmachungen, die getroffen wurden. Hier wurde auf das berüchtigte Chengdu-Treffen Bezug genommen; ein geheimes Zusammentreffen im Jahr 1990, bei dem die KPV und die KPC (Kommunistische Partei China) einvernehmlich und gemeinsam einen Sicherheitspakt abgeschlossen hatten, um Vietnam wirtschaftlich und politisch an China zu binden und abhängig zu machen.

Alternative Informationsquellen sind nicht das Gegenmittel zu staatlich kontrollierten Massenmedien. Sie sind willkommen, aber man kann sich nicht allein auf sie verlassen, insbesondere in Vietnams existentiellen Kampf gegen Korruption und China. Den traditionellen Medien Vietnams muss es erlaubt sein frei, neutral und rechtzeitig Informationen veröffentlichen zu können. Vietnam hat viele erfahrene Journalisten, die durch Zensur so lange schon eingeschüchtert worden sind und eigentlich nur ihren Job ordentlich ausführen wollen.
 
In der Verfassung ist die volle Pressefreiheit bereits vorhanden; sie muss dann auch umgesetzt werden. Die Öffnung der Medien würde unseren Führern helfen das Vertrauen der Bevölkerung zurückzugewinnen, das sie brauchen, falls sie hoffen Vietnams Hauptziele voranbringen zu wollen. Pressefreiheit ist gut für das Land und auch für das Regime.


Zur Person
Nguyễn Công Khế ist der Gründer der Tageszeitung Thanh Niên und arbeitete 23 Jahre als Chefredakteur. Er ist, wie viele Journalisten, Mitglied der Kommunistischen Partei und Vorsitzender eines privaten Medienunternehmens, das Onlinenachrichtenportale betreibt. Aufgrund seines Bekanntheitsgrades und seines Einflusses in der KPV, kann er sich indirekte Kritiken gegenüber der Staatsführung erlauben.


*Anmerkung der Redaktion
 

Quellen:
http://www.straitstimes.com/opinion/why-vietnam-needs-free-press
http://www.nytimes.com/2014/11/20/opinion/a-free-press-for-vietnam.html
http://www.villa-aurora.org/de/stipendiaten-details/grant/317-pham-doan-trang.html