Vietnamesen sollten Thatcher nicht dankbar sein


Der Originaltext erschien im Guardian von Marc Tran

Boatpeople, die 1979 nach Großbritannien kamen, müssen der damaligen Premierministerin Margaret Thatcher (*13.10.1925 - †08.04.2013) zutiefst dankbar gewesen sein – aber das ist nicht angebracht.

Im Juli 1979 schrieb Margaret Thatcher einen bewegenden Brief an eine vietnamesische Familie.

Gerichtet an Familie Nguyen, drückte sie Sympathie für die Person aus, die über die langersehnte Familienzusammenführung schrieb, nach der Trennung, als hunderttausende von Boatpeople aus Vietnam flüchteten.

Frau Thatcher schrieb: „Ich weiß, welches schreckliche Leid Flüchtlinge aus ihrem Land durchgemacht haben. Deshalb schlug ich zuerst dem Generalsekretär der Vereinten Nationen (UN) vor eine Konferenz einzuberufen, um an praktischen Hilfsmaßnahmen zu arbeiten. Wir leisten einen wesentlichen Teil in diesen internationalen Bemühungen und haben entschieden weitere 10000 Flüchtlinge in unser Land aufzunehmen.“

Sie beendet den Brief mit der Zeile: „Wie Sie, hoffe ich, dass es nicht mehr lange dauern wird, damit Sie wieder mit ihrer Familie vereint sind.“

Selbst für all jene, die Thatcher aufgrund ihrer regionalen Politik nicht mochten, ist die Aufnahme von 10000 Flüchtlingen eine Handlung höchster staatsmännischer Fähigkeit, sogar unter Edelleuten. Der Brief, den Thatcher an die Familie Nguyen schrieb, der auf der Webseite der Margaret-Thatcher-Stiftung zu finden ist, zeigt, dass die „eiserne Lady“ ein schlagendes Herz hatte. Für jene Vietnamesen, die 1979 nach Großbritannien kommen durften, um ein neues Leben zu beginnen, muss ein Gefühl der tiefsten Dankbarkeit für Thatchers Amtshandlungen vorhanden sein.

Ankunft vietnamesischer Flüchtlinge am Flughafen London Stansted


Aber Jahrzehnte später erscheint sie in einem anderen Licht, wie neuveröffentlichte Dokumente der Downing Street verraten. Die Papiere des Nationalarchives zeigten, wie sie nur sehr widerwillig zustimmte vietnamesische Flüchtlinge aufzunehmen und dies nur durch die Überredungskunst von Lord Carrington und William Whitelaw, Minister des Auswärtigen und Inneren Amts, tat. Diese Menschen sind die wirklichen Helden hinter der Entscheidung Großbritanniens 10000 vietnamesische Flüchtlinge aufzunehmen.

Das Kontingent wurde zuerst in Genf vom Hochkommissar der UN, Paul Hartling, vorgeschlagen, um einen UN Gipfel zur Lösung der Boatpeople Krise voranzutreiben. Im Juli 1979 gab es mehr als 60000 Menschen in Flüchtlingslagern der damaligen britischen Kronkolonie Hongkong; monatlich stieg die Zahl um 500. Britische Handelsschiffe nahmen weiterhin zahlreiche Menschen auf, die eine gefährliche Reise durch das Südchinesische Meer auf sich genommen hatten und der Gefahr durch Piratenangriffe oder dem Tod auf dem Meer ausgesetzt waren.

Als die Downing Street dahinterkam, dass der Sunday Telegraph beabsichtigte einen Artikel über Großbritanniens Wille zur Aufnahme von 10000 Flüchtlingen zu veröffentlichen, erfolgte eine umgehende unbeachtliche Behandlung des Artikels. Thatchers erste Reaktion war, es gäbe „große und weitere signifikante Schwierigkeiten durch den Zulauf von Flüchtlingen ins Vereinte Königreich“.

Die Dokumente zeigen ganz klar, dass Thatcher weit entfernt von Großherzigkeit stand. Sie warnte vor Straßenunruhen, falls man Vietnamesen Sozialwohnungen bereitstellen würde. Sie schlug vor gemeinsam mit Australien eine indonesische oder philippinische Insel für Flüchtlinge zu kaufen. Der Plan wurde seiner Zeit von Singapurs Ministerpräsident Lee Kuan Yew blockiert, da er befürchtete es könne eine rivalisierende wirtschaftlich starke Stadt entstehen. Thatcher sagte auch, dass sie weitaus weniger Einwände gegen Flüchtlinge aus Rhodesien (heute Simbabwe), Polen oder Ungarn habe, „da sie sich leichter in die britische Gesellschaft assimilieren könnten.“

Thatcher gab nur auf Druck Whitelaw und Carrington nach, der als einer der ersten die Lager in Hongkong gesehen hatte. Die Minister sagten, dass 3000 vietnamesische Flüchtlinge im Jahr in Großbritannien ohne den Bedarf zusätzlicher Lager untergebracht werden könnten. Whitelaw deutete darauf hin, dass die meisten der Konservativen Partei die Aufnahme der Flüchtlinge bevorzugten, sowie auch alle Vertreter des Innenministeriums. Er erwähnte, dass sich aus seinem Briefwechsel ein Meinungsumschwung eingestellt hatte, der darauf hindeutete, dass die Akzeptanz von mehr Flüchtlingen bevorzugt wurde. Er spielte auch Thatcher aus und sagte, dass alle die solche Briefe, wie Thatcher schreiben, dann auch eingeladen sein sollten, einen Flüchtling in ihrem Haus zu akzeptieren.

Whitelaw verteidigte seinen Standpunkt: „Es ist erforderlich, dass wir eine positive und haltbare Politik gegenüber Menschen vertreten, die vor der brutalen kommunistischen Tyrannei geflüchtet sind.“

Carrington wies darauf hin, dass Großbritannien sehr schlecht dastehen würde, wenn es kein konkretes Angebot liefern könnte, da der UN Gipfel von Thatcher initiiert wurde. Sie geriet auch international unter Druck, der israelische Ministerpräsident Menachem Begin kritisierte in einem Schreiben im Juni 1979 Thatcher und ihre Idee einer Konferenz. Er schlug vor, dass jedes Land eine bestimmte Anzahl aufnehmen sollte, um auf diese Weise mit der „fürchterlichen Tragödie“ umzugehen.

Schließlich gab Thatcher nach und entschied sich zur Aufnahme Großbritanniens von 10000 vietnamesischen Flüchtlingen. Aber wie wir nun wissen, musste sie „getreten, geschleppt und angeschrien“ werden, damit sie die Flüchtlinge akzeptierte.

Für die vietnamesischen Flüchtlinge, die Thatcher und ihren Standpunkt 1979 bewundert haben, ist es nun klar, dass Carrington und Whitelaw die Personen sind, den die Vietnamesen wirklich danken sollten.


Brief von Margaret Thatcher an Familie Nguyen 1979
http://www.margaretthatcher.org/speeches/displaydocument.asp?docid=104124


Quelle:
http://www.theguardian.com/commentisfree/2009/dec/31/margaret-thatcher-vietnam-boat-people