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Vietnamesen in Berlin

Eine Seminarbeit über "Thai und Vietnamesen in Berlin" von zwei Studenten an der Humboldt Universität zu Berlin. Die Arbeit handelt von der Verortung, den Beziehungen und Probleme von der vietnamesischen Community in Berlin.

 

Wenn man über Vietnamesen in Berlin spricht, muss man sie in drei Gruppen untergliedern. Die zwei größten Gruppen bilden die boat people oder Kontingentflüchtlinge und die ehemaligen Vertragsarbeiter. Die dritte Gruppe besteht aus Asylbewerbern, die von Vietnam in die ehemalige Tschechoslowakei als Vertragsarbeiter kamen und von dort aus einen Antrag auf Asyl in Deutschland stellten, und illegalen Einwanderern, die größtenteils Wirtschaftsflüchtlinge sind.

Die boat people flüchteten aufgrund des Vietnamkriegs in Booten. Auf der Genfer Indochinakonferenz 1979 erklärte sich die Bundesrepublik Deutschland dazu bereit, ein Kontingent von 10.000 Südostasien-Flüchtlingen aufzunehmen, so genannte Kontingentflüchtlinge. Bis 1984 wurde das Kontingent auf 38.000 Indochina-Flüchtlinge erhöht und in der Bundesrepublik  angesiedelt. Durch das Kontingentflüchtlingsgesetz von 1980 erhielten die Flüchtlinge eine Aufenthaltsbefugnis, die nach einigen Jahren in eine unbefristete Aufenthaltserlaubnis umgewandelt werden konnte (Baumann 2000, S. 30-32). Auch in der damaligen DDR gab es seit den 1950er Jahren Vietnamesen, die zur beruflichen Ausbildung und zum Arbeiten aus Nordvietnam kamen. Bis 1990 kamen 69.000 vietnamesische Vertragsarbeiter in die DDR, um für vorläufig fünf Jahre dort zu arbeiten. In dieser Zeit lebten sie sehr isoliert in gesonderten Unterbringungen. 


Mit dem Mauerfall 1989 änderte sich die Lage der vietnamesischen Vertragsarbeiter. 70% verloren nach der Wende ihren Arbeitsplatz. Die Hälfte, etwa 30.000, ging mit
Hilfe der Rückkehrhilfe der Bundesrepublik zurück nach Vietnam. Die restlichen 39.000 blieben und versuchten, sich hier eine Existenz aufzubauen. 99% der Asylbegehren wurden von der Bundesrepublik unbegründet abgelehnt, jedoch wurden die Vertragsarbeiter aufgrund von politischen Unruhen in Vietnam nicht abgeschoben, sondern erhielten den Status eines geduldeten de-facto-Flüchtlings, ohne Aufenthaltsgenehmigung und Arbeitserlaubnis. 1993 wurde auf der Innenministerkonferenz beschlossen, dass Flüchtlinge, die ein Arbeitsverhältnis nachweisen können, eine Aufenthaltsbefugnis erhalten (Baumann 2000, S. 32-33).
Durch die Wiedervereinigung stieg die Zahl der in Deutschland lebenden Vietnamesen rapide an. 1994 lebten schätzungsweise 95.000 Vietnamesen in der Bundesrepublik. Davon hatten etwa 55.000 eine Aufenthaltsgenehmigung – hier handelte es sich hauptsächlich um Kontingentflüchtlinge. Man nimmt an, dass sich 1994 ungefähr 40.000 Vietnamesen illegal in Deutschland aufhielten, die sich aufteilten in 10.000 Vertragsarbeiter ohne Anstellung, 20.000 abgelehnte Asylbewerber und 10.000 illegal Eingereiste. Dazu kamen noch die etwa 29.000 bereits eingebürgerten Vietnamesen.

Insgesamt sind in Berlin 2006 67.395 Asiaten melderechtlich registriert gewesen. Davon sind 11.767 vietnamesischer Herkunft (Baumann 2000, S. 32-34; AfS 2006). Die Kontingentflüchtlinge hatten anfänglich Schwierigkeiten, sich in das deutsche Berufsleben einzugliedern. Das Hauptproblem war, dass oftmals ihre beruflichen Abschlüsse in Deutschland nicht anerkannt wurden. Deshalb nahmen sie meist eher schlechter bezahlte Arbeit an. Sie durften jedoch an Fördermaßnahmen und Umschulungen teilnehmen und erhielten einen acht bis zwölfmonatigen Deutschkurs. So fanden sie schnell eine Anstellung, etwa im Büro oder Schichtdienst. Die traditionelle Wertschätzung von Bildung in Vietnam war gewiss förderlich, ebenso wie die Vertrautheit mit dem kapitalistischen System, dass sie bereits aus Südvietnam kannten. Die Eingliederung der Vertragsarbeiter aus der ehemaligen DDR gestaltete sich schwieriger. Für sie war es als de-facto-Flüchtlinge besonders schwer eine Anstellung zu finden. Etwa die Hälfte schaffte es bis Mitte der 1990er Jahre sich als kleine Selbstständige den Lebensunterhalt zu sichern.

Im Gegensatz zu den Kontingentflüchtlingen unterhielten sie vor allem Geschäfte im Handel oder Reisegewerbe. Dadurch erhielten sie eine auf zwei Jahre befristete Aufenthaltsbefugnis. Konnten sie in den zwei Jahren eine feste Anstellung und ein regelmäßiges Einkommen nachweisen, bestand die Möglichkeit, diese in ein unbefristetes sich im Tempel heimisch zu fühlen und hier...

Während sich die Kontingentflüchtlinge heute relativ gut in der Gesellschaft etabliert haben, leiden die ehemaligen Vertragsarbeiter, die sich damals selbstständig machten, heute vor allem unter der Konkurrenz der großen Discounter. Damals entstand aus der Not heraus eine vietnamesische Subwirtschaft, die dem aktuellen Preisdumping der etablierten Discounter inzwischen nicht mehr standhalten kann. Ironischerweise beziehen die Discounter ihre Waren heute direkt aus Dumpingländern wie Vietnam. So schadet der vietnamesische Aufschwung den Vietnamesen außerhalb des Landes.

Aus einer Analyse des Migrationsbeirats von Marzahn-Hellersdorf vom Oktober 2005 geht hervor, dass die resultierenden sozialen Probleme oft Verschuldung und Sucht sind. Besonders verbreitet seien Spielsucht, Drogen- und Alkoholabhängigkeit. Die berufliche Belastung und Geldnot sind häufige Ursachen für schwere Krankheitsbilder wie Unterernährung oder psychische Erkrankungen. Uwe Klett, bis 2006 Marzahns Bürgermeister, wollte dieses Problem angehen, denn gerade Marzahn-Hellersdorf und Lichtenberg-Hohenschönhausen beherbergen die meisten Vietnamesen. Die Migrationsbeauftragte von Marzahn-Hellersdorf, Elena Marburg, betonte dabei, dass die Verwaltungen auf die Vietnamesen zugehen müssen, da diese es nicht gewohnt seien, Hilfe von außen anzunehmen. Denn: Schon in den 1990er Jahren hatten sich die Vietnamesen zu immer mehr Autonomie und Selbstständigkeit entschlossen und Zeitschriften, Restaurants und „Asia“-Geschäfte sowie zahlreiche Vereine oder religiöse Institutionen gegründet (Baumann 2000, S. 48-49; Mai 2007, taz).

Bei den im Ostteil Berlins lebenden Vietnamesen handelt es sich vor allem um die als Vertragsarbeiter in die DDR gekommenen Vietnamesen. Diese wurden damals in isolierten Wohnblocks untergebracht und durften ihre Berliner Gemeinden nicht ohne Genehmigung verlassen. Es gab keinen Austausch mit Deutschen. Dies war staatlich gewollt, denn Vietnamesen standen unter dem Verdacht, Krankheiten wie etwa Aids zu verbreiten. Die Ausländerpolitik der DDR setzte auf eine bewusste Konzentration der Zuwanderer. Außer einem zweimonatigen Deutschkurs, in dem berufsbezogene Grundkenntnisse vermittelt wurden, gab es keine Eingliederungs-Programme. Da die Vertragsarbeiter nach der Wende kaum eine Chance auf Anstellung hatten, machten sich viele aus der Not heraus selbstständig. Das konnte legal etwa im Reisegewerbe sein oder illegal im Zigarettenhandel (Kil und Silver 2006, 106-107). Wegen ihrer Isolation und den erschwerten Bedingungen, sich in die deutsche Gesellschaft einzugliedern, besteht das Hauptproblem heute in der Segregation und misslungenen Integration der ehemaligen Vertragsarbeiter.

Wie die Verteilungsgrafik zeigt, konzentriert sich der Großteil der in Berlin registrierten Vietnamesen im Ostteil, besonders in Marzahn-Hellersdorf und Lichtenberg-Hohenschönhausen (Anhang 2). Nach dem Mauerfall sanken dort die Wohnpreise in den öffentlich abgewerteten Plattenbauten. Die sozial besser gestellten Deutschen zogen aus den Quartieren aus. Vietnamesen und andere sozial Benachteiligte siedelten sich dort an. Zudem wurde die Segregation dadurch forciert, dass die Vertragsarbeiter Anfang der 1990er Jahre nur eine Arbeitserlaubnis für den Ostteil Berlins erhielten (Baumann 2000, S 40-42). Aufgrund der sozioökonomischen Benachteiligung der Vietnamesen lässt sich zunächst von einer sozialen Segregation sprechen. Durch Vorurteile und Diskriminierung der Wohnungsbaugesellschaften und Vermieter sind Vietnamesen und andere Migranten gezwungen, in sozial benachteiligten Gebieten zu siedeln, denn die bevorzugten Haushalte haben Vorrang. Hinzu kommt die misslungene Integration, die dazu führt, dass die Vietnamesen unter sich bleiben und es so zu in sich geschlossenen ethnischen Kolonien mit einer eigenständigen Subwirtschaft kommt. Demnach handelt es sich auch um eine ethnische Segregation (Häußermann 2004, S. 173-174; Kil und Silver: 2006, S. 105-106).

Wie oben erwähnt hat sich eine geschlossene vietnamesische Handelsstruktur entwickelt, da die ehemaligen Vertragsarbeiter im rechtlosen Raum schwebten und sich keine Behörde um eine langfristige Integration und Qualifikation kümmerte. Das bedeutet, dass nicht nur der Ladenbesitzer, der den jeweiligen Artikel vertreibt, vietnamesischer Herkunft ist, sondern sowohl die Zulieferer als auch die Lagerhalter und Endabnehmer alle zu derselben ethnischen Minderheit gehören. Diese ethnische Struktur zeigt deutlich die Isolation auf, in welche die Vietnamesen gedrängt wurden. Aufgrund der veränderten globalen Marktsituation bricht dieses ökonomische Netz zusammen und die mühsam selbst geschaffene Existenzgrundlage wird entzogen (Mai 2006, Spiegel). Wie die Journalistin Marina Mai im März 2007 in der „taz“ berichtet, [...] rächt sich inzwischen, dass viele Unternehmensgründungen in den 90er Jahren allein dem Druck des Ausländerrechts geschuldet waren: Nur wer seinen Lebensunterhalt sehr schnell selbst verdiente, durfte bleiben. Langfristige Marktstrategien und zielgerichtete Qualifikationen waren kein Thema – und sind es bis heute nicht.“ (Mai 2007, taz).

Aber auch die ethnische Community der Vietnamesen in Berlin ist in sich nicht homogen. Die einstige Nord-Süd-Teilung ihres Herkunftslandes spiegelt sich in einer ungleichen Ost-West-Verteilung der Vietnamesen in Berlin wieder. So siedelten sich die boat people aus dem Süden Vietnams in Westberlin an und die ehemaligen Vertragsarbeiter aus dem Norden blieben im Ostteil. Die ehemaligen boat people pflegen bis heute kaum Kontakt zu den Vertragsarbeitern (Kil und Silver 2006, S. 108). Ursache für diese Heterogenität könnte sein, dass im Bewusstsein der Flüchtlinge die Geschehnisse während der Kriege noch nachhallen. So wurde den Einwohnern des kapitalistischen Südvietnams das Feindbild des Kommunisten sehr deutlich gemacht und jeder Kommunist von der Obrigkeit verfolgt. Offenbar kann diese tief sitzende Furcht vor den Kommunisten auch in einem anderen Land weiter präsent sein. 


Es gibt verschiedene Einrichtungen, Organisationen und Initiativen die in den letzten Jahren gegründet wurden um den beschriebenen Negativ-Entwicklungen entgegen zu steuern. Aufgrund der internen Diversität der vietnamesischen Community stehen diese bis heute aber nicht unter einem Dachverband, der das Handeln der verschiedenen Organisationen lenken und effektiver machen könnte. Die Vereinigung der Vietnamesen in Berlin-Brandenburg e.V. in Lichtenberg übersetzt amtliche Dokumente und gibt Vietnamesen so eine Hilfestellung, über die Behörden eine bessere Chance zur Eingliederung in die Gesellschaft zu erhalten. Es werden zudem regelmäßig Sportturniere veranstaltet, um auch auf diesem Weg gegen die Isolation vorzugehen. Weiterhin gibt es den „Club Asiaticus“, die „Bürgerinitiative-Hohenschönhausen“ und das  „Kiek-In“. Sie bieten sowohl soziale als auch kulturelle Unterstützung an und wirken so integrativ. Die „Reistrommel“ widmet sich vor allem der Gewaltprävention an Schulen, indem sie sich für den interkulturellen Dialog stark macht. Ein Beispiel dafür, dass es durchaus einen Austausch zwischen Deutschen und Vietnamesen geben kann, ist die „Deutsch-Vietnamesische Gesellschaft“, die sich für die Pflege interkultureller Beziehungen einsetzt. Zugleich ist aber auch erwähnenswert, dass die hier geborene Generation von Vietnamesen zumindest sprachlich schon so gut integriert ist, dass sie weniger mit der deutschen als mit der vietnamesischen Sprache Probleme hat.

 

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Ganze Seminarbeit duchlesen

Mit freundlicher Genehmigung von Serhat Ünaldi

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