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Steht eine Niederschlagung der Katholiken bevor? - Chronologie der Ereignisse

Tausende Katholiken demonstrieren seit Tagen für die Rückgabe von Kirchengebäude – Landstreit seit über 50 Jahren
Tausende Katholiken demonstrieren seit Tagen für die Rückgabe von Kirchengebäude – Landstreit seit über 50 Jahren

Hanoi / Frankfurt am Main (31. Januar 2008) – Seitdem das Volkskomitee der Stadt Hanoi sein Ultimatum vor drei Tagen verstreichen ließ, demnach der Erzbischof eine Versammlung von Katholiken auf dem Gelände der Nuntiatur auflösen und eine Pieta-Statue und ein Kreuz entfernen sollte, ist es am Bischofssitz angespannt ruhig. Trotz Kälte und Regen hält eine Gruppe von 40 Katholiken Tag und Nacht eine Mahnwache, um der Forderung des Erzbischofs nach Rückgabe eines Gebäudes Nachdruck zu verleihen. Seit dem 29. Januar 2008 beobachtet die Internationale Gesellschaft für Menschenrechte (IGFM) eine rege Mobilisierung von Polizei und Militärfahrzeugen in der Nähe des Geländes. Die Teilnehmer der Mahnwache werden gefilmt. Die IGFM befürchtet, dass ein gewaltsamer Eingriff unmittelbar bevorsteht. Die IGFM ruft die vietnamesische Regierung zur Besonnenheit und zum Verzicht von Gewalt auf.

Auf dem ca. ein Hektar großen Gelände des Bischofsitzes von Hanoi befindet sich neben der Kathedrale, dem Priesterhaus und dem Priesterseminar auch noch der Sitz des ehemaligen Nuntius. Nach der Machtübernahme der Kommunisten in Nordvietnam war der Nuntius 1959 des Landes verwiesen und die Nuntiatur beschlagnahmt worden. Der Erzbischof von Hanoi ist der Meinung, dass das Nuntiatur-Gebäude und das dazu gehörende Grundstück Eigentum der Kirche in Vietnam seien. Die Regierung dagegen behauptet, ein (regierungsfreundlicher) Priester habe 1961 das Gelände dem Staat geschenkt.

Katholiken beten und bangen um die Nuntiatur
Die Regierung hatte bereits den Bau einer Mauer durchgesetzt, die einen Teil des Geländes vom Bischofssitz trennt. Es wird kommerziell genutzt - neben einem Restaurant und einem Kraftstudio wurden auf dem Nuntiatur-Gelände bis vor einigen Jahren auch eine Trinkbar und ein Nachtklub betrieben. Dessen laute Musik war bis in die tiefe Nacht zu hören und störte die Ruhe der Priester in der Bischofsresidenz. Viele Katholiken behaupten, dass der frühere Bischof durch die nächtliche Ruhestörung krank geworden sei. Auslöser des jetzigen Unmuts ist die ständige Verletzung des Status quo, der zwischen Staat und Kirche bis zur Beilegung des Streits vereinbart worden war.

Ungeachtet der Beschwerde des Erzbischofs wurde im Dezember der Garten in einen kommerziellen Parkplatz verwandelt, eine Bank in der zweiten Etage des Restaurants eingerichtet und die früheren Nuntiatur-Räumlichkeiten umgebaut. Nachdem Erzbischof Ngo Quang Kiet in einem offenen Brief am 15. Dezember 2007 die Diözese auf die Probleme hingewiesen hat, eskaliert mit jedem Tag die Situation. Katholiken in Hanoi wollen die Erosion stoppen.

Die Katholiken halten der Regierung vor, mit einer Hinhaltetaktik die Kirche einerseits durch Bauvorhaben vor vollendete Tatsachen zu stellen und andererseits sich dadurch eine bessere Verhandlungsposition zu schaffen. Seit dem 18.12.2007 versuchen die Katholiken in Hanoi mit verschiedenen Aktionen, das Gelände abzusichern. Mit der Errichtung einer Pieta-Statue und danach eines 4 Meter hohen Kreuzes haben sie sich einen Wallfahrtsort geschaffen und mit dem gemeinsamen Gebet eine adäquate Form des Versammelns gefunden, die vom Gesetz gedeckt ist. Trotz verschiedener Provokationen der Sicherheitskräfte verhielten sich die Katholiken bisher weitgehend friedlich und äußerst diszipliniert.

Die Regierung wirft ihnen nun vor, sich unrechtmäßig versammelt zu haben. Die Kirche erwiderte, dass sie sich im Rahmen des Gesetzes bewege, denn nach der "Verordnung über Glauben und Religion" dürften Religionsgemeinschaften religiöse Aktivitäten innerhalb ihrer kirchlichen Räumlichkeiten durchführen. Und das Bischofsgelände betrachtet die Kirche als ihr Eigentum. Außerdem seien keine Transparente oder Sprechchöre gegen die Regierung zu sehen bzw. zu hören.

Auch der Besuch von Premierminister Nguyen Tan Dung beim Erzbischof am 30.12.2007 sowie der Besuch des Vorsitzenden der vietnamesischen Bischofskonferenz am 16.1.2008 in Hanoi brachten keinen Durchbruch. So war zu hören, dass die Regierung bereit sei, die Nuntiatur in Hanoi, den Wallfahrtsort La-Vang in Quang Tri und das Päpstliche Institut in Dalat an die katholische Kirche zurückzugeben unter der Bedingung, dass die Kirche alle weiteren Streitigkeiten über konfisziertes Kircheneigentum beendet. Die Kirche lehnte diesen Kuhhandel ab.

Die Lage eskalierte, als die Behörden den Zugang zur Nuntiatur und damit zur Pieta auch am Tag versperrten. Nach der Feier anlässlich des 90. Geburtstages von Kardinal Pham Dinh Tung am 25.1.2008 marschierten 2.000 bis 3.000 Katholiken zur Nuntiatur. Dabei kam es zu Handgreiflichkeiten, bei denen mehrere Menschen verletzt wurden. Die Regierung stellte daraufhin ein Ultimatum und forderte den Erzbischof von Hanoi auf, die "illegalen Aktivitäten" einzustellen.

Zurzeit verhandeln der Vatikan und Vietnam über die Wiederaufnahme der diplomatischen Beziehungen. Anfang letzten Jahres besuchte der vietnamesischen Premierminister den Papst.


Tagebuch der Geschehnisse auf dem Bischofsgelände in Hanoi vom 18.12.2007 bis 29.1.2008

18.12.2007: Rund 4.000 junge Katholiken nehmen an einer Veranstaltung zur Ehrung eines namhaften vietnamesischen Kirchenkomponisten teil. Danach gehen rund 2.000 Personen auf das benachbarte Nuntiatur-Gelände und beten dort für die Rückgabe der Nuntiatur.

19.12.2007: Polizisten bewachen die Nuntiatur, aber stören das Gebet nicht.

20.12.2007: Rund 5.000 katholische Priester, Ordenschwestern und Gläubige nehmen an der Weihe von 18 Priestern teil. Eine etwa 2 Meter große Pieta wird an einem großen Baum auf dem Gelände der Nuntiatur aufgestellt. Nach der Weihe marschieren 5.000 Katholiken dorthin und beten an der Pieta. Seitdem bringen Katholiken täglich Blumen und Kerzen zu diesem Wallfahrtsort. Auch abends stehen sie vor den verschlossenen Toren, um zu beten.

24.12.2007: Ein Holzkreuz wird an dem Baum neben der Pieta angebracht.

26.12.2007: Die Regierung befestigt an den Wänden der Nuntiatur zwei Schilder mit dem Schriftzug "Kulturhaus" und "Amt für Kultur, Information, Gymnastik und Sport". Die Katholiken betrachten dies als Provokation.

30.12.2007: Premierminister Nguyen Tan Dung besucht den Erzbischof von Hanoi, Ngo Quang Kiet, und das umstrittene Gelände. Der Premier beobachtet die friedliche Versammlung vor den Toren der Nuntiatur sowie die Unterschriftensammlung für die Rückgabe des Kirchengebäudes.

1.1.2008: 2.000 Menschen marschieren zur Nuntiatur. Enttäuscht stellen sie fest, dass der Zugang versperrt ist. Die Tore zur Nuntiatur werden zum ersten Mal mit Ketten verschlossen. Hinter den Toren liegen große Betonklötze. Die Katholiken stehen friedlich vor dem Zaum und beten. Die Polizei leitet den Verkehr um, ohne einzugreifen.

3.1.2008: Während Verhandlungen zwischen Regierung und Kirche laufen, erklärt der Leiter des Zentralamtes für Religiöse Angelegenheiten in einem Interview mit dem britischen Sender BBC, dass die Kirche Bezeichnungen wie "Zurückfordern" und "mein und dein Grundstück" niemals benutzen sollte. Nach dem sozialistischen Gesetz sei das Land Volkseigentum und werde vom Staat verwaltet. Nach Bedarf stelle der Staat einzelnen Personen und Organisationen Grundstücke für die langfristige Nutzung zur Verfügung. Katholiken werten die Aussage als Verhärtung der Verhandlungsposition.

6.1.2008: Handgreiflichkeiten geschehen bei einer Auseinandersetzung zwischen Polizei und Katholiken der Gemeinde Thai Ha im Erzbistum Hanoi, als die Katholiken die Bauvorhaben eines staatlichen Betriebs auf dem Kirchengelände verhindern wollen. Auch in Thai Ha halten die Gemeindemitglieder seit dem 5.1.2008 eine Mahnwache auf dem Kirchengelände ab. Die Kirche beklagt, dass ihr von den früher 60.000 qm nur noch 2.700 qm übrig gelassen wurden. Auch hier war ein Status quo bis zur Findung einer gemeinsamen Lösung vereinbart worden. Zeitgleich demonstrieren weitere rund ein Tausend Katholiken am 6.1.2008 vor dem Gebäude des Volkskomitees der Stadt Ha Dong, das früher eine katholische Kirche war. Die Demonstration verläuft ohne Zwischenfälle.

10.1.2008: Geburtstagsfeier des 90jährigen Kardinals und früheren Erzbischofs von Hanoi, Pham Dinh Tung, im engen Kreis aus Verwandten und Kirchenleiter. Nach der Messe marschieren rund ein tausend Personen zum Nuntiatur-Gelände. Sie beten friedlich unter den Augen der Polizei.

11.1.2008: Das Volkskomitee der Stadt Hanoi wirft dem Erzbischof und den Priestern vor, durch Versammlungen gegen das Gesetz zu verstoßen.

16.1.2008: Der Vorsitzende der vietnamesischen Bischofskonferenz, Bischof Nguyen Van Nhon, reist von Hanoi ab, nachdem seine Verhandlung mit der Regierung über verschiedene Landstreitigkeiten erfolglos blieb. Seit dem 17.1.2008 übernimmt Bischof Nguyen Van Sang von Thai Binh die Vermittlungsrolle.

25.1.2008: Kardinal Pham Dinh Tung feiert in der Kathedrale eine große Messe aus Anlass seines 90. Geburtstags, seines 60jährigen Priester-, 45jährigen Bischofs- und 15jährigen Kardinalsjubiläums. Anschließend marschieren 2.000 bis 3.000 Menschen zur Nuntiatur und betteen vor den verschlossenen Toren. Eine Frau der ethnischen Muong-Minderheit klettert über den Zaun und läuft mit einem Blumenstrauß zur Pieta-Satue. Sie wird von Sicherheitskräften aufgefangen und mißhandelt. Ein Rechtsanwalt überwindet ebenfalls den Zaun, um ihr zur Hilfe zu kommen. Auch er wird festgehalten und brutal geschlagen. Einige Dutzend andere kommen ihnen zur Hilfe. Die aufgebrachte Menge reißt das Tor nieder und strömt auf das Gelände. Sie fordern die Freilassung der beiden Festgenommenen. Als ihre Forderung kein Gehör findet, demolieren sie eine Haustür und befreien ihren Glaubensbruder und ihre Glaubensschwester. Dabei kommt es zu Handgreiflichkeiten zwischen Katholiken und Regierungsbeamten. Einige Dutzend Katholiken bringen ein 4m hohes Kreuz und richten es vor der Nuntiatur auf. Schließlich errichten die Katholiken mehrere Zelte, um das Gelände Tag und Nacht zu bewachen.

26.1.2008: Das Volkskomitee der Stadt Hanoi stellt dem Erzbischof von Hanoi ein Ultimatum. Bis 17:00 Uhr des 27.Januar.2008 soll der Bischof die gesetzwidrigen Aktivitäten einstellen, die Versammlung auflösen sowie die Pieta-Statue, das Kreuz und die Zelte vom Nuntiatur-Gelände entfernen lassen.

27.1.2008: 3.000 Katholiken versammeln sich bis zum Ablauf des Ultimatums auf dem Nuntiatur-Gelände und beten vor dem Kreuz und der Pieta. Die Polizei beobachtet und filmt sie, ohne einzuschreiten.

28.1.2008: Bischof Nguyen Van Sang kommt zum gemeinsamen Gebet auf das Nuntiatur-Gelände. Das Erzbistum Hanoi protestiert gegen die Verunglimpfungskampagnen in den staatlichen Medien und betont, dass das Beten auf dem kirchlichen Gelände von der Verordnung für Glauben und Religion gedeckt ist.

29.1.2008: Mehrere Fahrzeuge der Polizei und Armee fahren auf, Fernseh- und Fotografenteams filmen die versammelten Katholiken. Die beunruhigten Katholiken lösen Alarm aus und rufen andere Gläubige zur Unterstützung auf. Innerhalb einer halben Stunde kommen 500 Personen auf dem Gelände zusammen.


Quelle: www.igfm.de