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Will man sich etwa über die Justiz lustig machen?

Die öffentliche Meinung ist schockiert über die Entscheidung der höchsten Staatsanwaltschaft zur Freilassung und Einstellung des Ermittlungsverfahrens gegen den Ex-Vizeminister für Verkehr Nguyễn Việt Tiến im Zusammenhang mit dem Skandal PMU18.
Die öffentliche Meinung ist schockiert über die Entscheidung der höchsten Staatsanwaltschaft zur Freilassung und Einstellung des Ermittlungsverfahrens gegen den Ex-Vizeminister für Verkehr Nguyễn Việt Tiến im Zusammenhang mit dem Skandal PMU18.

Als der Skandal aufgedeckt wurde, haben sich die Ermittlungsbehörden sofort eingeschaltet. Ihre ersten Ermittlungsergebnisse waren so überzeugend, dass die Presse sie ohne zögern bis ins letzte Detail darüber berichtete. Nguyễn Việt Tiến wurde als 100%tiger Täter dargestellt, obwohl zu diesem Zeitpunkt noch kein Gericht Urteil darüber gefällt hatte.

Nguyễn Việt Tiến
Als ich damals die Nachricht darüber erfuhr, konnte ich meine Sorgen um Nguyễn Việt Tiến und seine Komplizen kaum unterdrücken. Denn, ob tatsächlich schuldig oder nicht, allein laut Stimmung der Öffentlichkeit würden auf sie nur noch die Galgen warten. Bei uns ist es immer noch üblich, dass die öffentliche Meinung den Weg für den juristischen Prozess bahnt. Angeklagte werden immer anhand von Berichten in der Presse "verurteilt", anstatt abzuwarten, bis die Beweise in einem Verfahren fertig analysiert und ausgewertet sind, damit die Rechte des Angeklagten bis zum Schluss wirklich geschützt werden.

VERTRAUEN

Die Presse hatte dennoch in dem Fall PMU18 kein eigenes Selbstbewusstsein in ihrer Berichtserstattung bilden können, da sie sich ja ausschließlich nur auf Ermittlungsergebnisse der Ermittlungsbehörden verlassen konnte. Die Presse hat ihr Vertrauen vollkommen in die eindeutigen und sachlichen Informationen der Ermittlungsbehörden gelegt und diese an das Volk weitergegeben. Gerade die Ermittlungsbehörden sollten sich deshalb ausreichend mit juristischen Grundlagen ausstatten, damit sie nicht fälschlicherweise gegen unschuldige Menschen ermitteln und anklagen.

Bei solchen "empfindlichen" Prozessverfahren wie diesem haben auch Richter sicherlich den Ermittlungsbehörden und Staatsanwaltschaften ihr "volles Vertrauen" geschenkt. Und in der Tat dürfen die Richter nicht einfach die Ermittlung außerhalb der Akten erweitern, ohne sich die Unterstützung der Ermittlungsbehörden einzuholen.

Allerdings, wenn die rechtliche Grundlage, welche Staatsanwaltschaft anwendet, um Nguyễn Việt Tiến von allen Beschuldigungen zu befreien, völlig sicher ist, dann ist gar keine Frage, dass dieser Herr vom Gesetz geschützt werden muss. Seine Freiheit und seine Ehre müssten sofort und vollständig wiederhergestellt werden. Trotzdem stellt sich nach diesem Fall die Frage, ob die Justiz für die Zukunft mit diesen wertvollen Erfahrungen bei ähnlichen Fällen, wenn es welche gibt, gewappnet ist?

Fragen an die Justiz

Erstens, die Staatanwaltschaft hat sich in diesem Prozess von Anfang an eingeschaltet. Hat sie den Fall denn nicht intensiv genug verfolgt und sich damit auseinander gesetzt, so dass sie andere beteiligten Behörden zur sorgfältigen und anständigen Arbeit hätte angemahnen können? Und erst jetzt, wo die Angelegenheit schon fast zu Vergessenheit gehört, rollte die Staatsanwaltschaft die Akten plötzlich wieder auf und dem "Schuldigen" von einst die Freiheit geschenkt?

Zwischen der damaligen Ermittlungsbehörde und der heutigen Staatsanwaltschaft, wer hat recht bzw. unrecht in ihrer Feststellung und Schlussfolgerung über die 3 Vorwürfe gegen Nguyễn Việt Tiến? Klarheit darüber schaffen würde der Ruf der vietnamesischen Justiz stabilisieren. Zugleich würde sie auch jede ungünstige Nachrede über die Art der Verhaftung und Freilassung von Menschen, was seit vielen Jahren in der Bevölkerung für Diskussionsstoffe gesorgt hat, beseitigen.

Zweitens, in dem Interview mit VnExpress vom 26.03.2008 hat der stellvertretende Leiter der Staatsanwaltschaft Hoàng Nghĩa Mai gesagt, dass der Prozess gegen PMU18 zu einem Zeitpunkt stattgefunden hat, wo die öffentliche Meinung sehr ungünstig gegen Nguyễn Việt Tiến gerichtet hat. Neben juristischen Beweisen zähle  auch die öffentliche Meinung, daher sei eine Anklage unausweichlich.

Man müßte sich die Justiz unseres Landes so vorstellen, dass Anklage und Festnahme eines Menschen nicht allein von der Beweislage abhängig ist, sondern auch von der öffentlichen Stimmung. Als ich diese ehrlichen Sätze von Herrn Hoàng Nghĩa Mai gelesen habe, konnte das Zittern am eigenen Leib kaum unterdrücken. Ich fragte mich, warum die Freiheit eines Bürgers so leicht genommen wird?! Man kann sagen, dass jemand wegen der Stimmung in der Öffentlichkeit ins Gefängnis gesteckt wird, und nicht wegen seines Verstoßens gegen das Gesetz. Da stellt sich berechtigt die Frage, wie viele unschuldige Menschen es noch gibt, die im Gefängnis sitzen, und dessen Schicksal davon abhängt, wann die Staatsanwaltschaft ihre Akten wieder aufrollt?

Wann können wir Bürger sich endlich auf eine neutrale Justiz verlassen, wo Entscheidungen des ausführenden Organs und des Gerichts ihre Gewichte haben, ohne sich dabei von Außen beeinflussen zu lassen? Wenn Herr Nguyễn Việt Tiến tatsächlich unschuldig ist, dann frage ich mich, ob man sich lustig über die Justiz gemacht hat und weiter machen will?

Beitrag vom Rechtsanwalt Lê Công Định aus Ho Chi Minh Stadt an BBC


Quelle: www.bbc.co.uk