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Enteignungsopfer zu Haftstrafen verurteilt

Neun Opfer von Enteignungen sind in einer unfairen Verhandlung am 22. Juli in der südvietnamesischen Ho Chi Minh Stadt wegen angeblicher "Störung der öffentlichen Ordnung" (Art. 245 des vietnamesischen StGB) zu insgesamt 13 Jahren Haft verurteilt worden.
IGFM: Kein Recht auf friedliche Versammlung – Unfairer Prozess

Ho Chi Minh Stadt – Frankfurt am Main (23. Juli 2008) – Neun Opfer von Enteignungen sind in einer unfairen Verhandlung am 22. Juli in der südvietnamesischen Ho Chi Minh Stadt wegen angeblicher "Störung der öffentlichen Ordnung" (Art. 245 des vietnamesischen StGB) zu insgesamt 13 Jahren Haft verurteilt worden. Bereits im April waren drei Frauen mit derselben Anschuldigung zu einer Gesamtstrafe von 33 Monaten Haft verurteilt worden. Die Angeklagten hatten an zwei Protestaktionen gegen korrupte Beamte teilgenommen. Sie waren enteignet worden und hatten jahrelang erfolglos bei der Zentralregierung Hilfe gesucht, berichtet die Internationale Gesellschaft für Menschenrechte (IGFM). Die IGFM wertet den Prozess als politisch motiviert und die Urteile als unverhältnismäßig. Die Regierung wolle damit den Unmut von Korruptionsopfern eindämmen und zahlreiche Personen, die für ihre Rechte eintreten und protestieren, einschüchtern. Die IGFM rief Vietnam auf, das Recht auf friedliche Versammlung zu respektieren und die Demonstranten freizulassen.


Unfairer Prozess, Behinderungen der Anwälte

Der Prozesstermin wurde extrem kurzfristig angesetzt. Alle Schöffen waren Regierungsbeamte des Anklägers - des Volkskomitees des 9. Distrikts von Ho Chi Minh Stadt. Die Verteidigung beklagte, dass ihr der Zugang zu ihren Mandanten in der Untersuchungshaft von der Polizei verweigert wurde. Den Anwälten sei die Liste der Zeugen nicht ausgehändigt worden und der einzige Beweis – drei CDs mit Aufnahmen der Demonstration – sah wie ein Zusammenschnitt aus. Deshalb hatte die Verteidigung am Vortag die Verschiebung des Prozesses beantragt. Der Antrag wurde abgelehnt, worauf alle drei Verteidiger aus Protest der Verhandlung fernblieben.

Keine Zeugen, kein Beweismaterial

Augenzeugen berichteten der IGFM, dass das Gericht weder Zeugen gehört noch Beweismaterial vorgelegt habe. Ohne ihre Rechtsanwälte seien die Angeklagten ständig vom Richter unterbrochen worden. Letztendlich wurden folgende Urteile verhängt: Dang Tien Thong und Nguyen Van Nang erhielten je 2 Jahre Haft, Kieu Van Hoa, Nguyen Anh Tuan und Luu Quoc Luan je 1,5 Jahre Haft, Nguyen Nam Bien sowie Frau Duong Thanh Truc wurden zu je 12 Monaten Haft verurteilt, zwei weitere Frauen - Do Thi Mai und Nguyen Thi Theu - erhielten Bewährungsstrafen von 15 bzw. 12 Monaten. Bereits im April 2008 wurden drei Frauen zu Haftstrafen verurteilt: Nguyen Thi My Dung und Nguyen Thi Tho zu jeweils 12 Monaten, Nguyen Thi My Van zu 9 Monaten Haft.

Konspirative Treffen im Ho-Chi-Minh-Tempel

Im Zuge der Industrialisierung wurden zahlreiche Häuser und Grundstücke in Vietnam enteignet. Korrupte Beamte missbrauchten die Enteignungsanordnungen der Zentralregierung, um sich auf Kosten der Opfer zu bereichern. Wie in China organisiert sich auch im sozialistischen Vietnam eine große Gruppe von Enteignungsopfern, die für ihr Recht kämpfen.

Die Volksregierung des 9. Distrikts von Ho Chi Minh Stadt hat seit 2002 rund viertausend Familien aus ihren Häusern vertrieben, um auf deren Grundstücken einen Hochtechnologiepark zu bauen. Der amerikanische Chip-Hersteller INTEL gehört zu den Investoren. Die Enteignung dauert noch an. Rund 100 Häuser werden ihr in den nächsten Tagen zum Opfer fallen.

Rund 800 Familien in diesem Gebiet nahmen an verschiedenen Protestaktionen teil, weil sie weit unter dem Marktpreis entschädigt worden sind. Sie erhielten knapp 44 Euro pro qm, während der Markpreis bei 926 Euro liegt. Die Opfer gehen davon aus, dass korrupte Beamten sich bereichert haben. Ihre Machenschaften gingen soweit, dass auch Häuser enteignet wurden, die vom Enteignungsplan nicht betroffen waren. Die Opfer beklagen, dass ihre Häuser bereits abgerissen sind, sie sich aber mit der kleinen Entschädigungssumme kein neues Heim kaufen können.

Ihre Beschwerden wurden nicht beachtet. Seit 2004 klopften sie an die Türen auf allen Regierungsebenen. Sie reisten sogar nach Hanoi, um Gehör bei der Zentralregierung zu finden. Ohne Erfolg. Da viele Opfer im 9. Distrikt von Ho Chi Minh Stadt als Guerillakämpfer auf der Seite der Kommunisten im Vietnam-Krieg gekämpft hatten, ist die Verbitterung gegenüber der eigenen kommunistischen Regierung besonders groß. Bei den Protestaktionen zogen sie ihre früheren schwarzen Kampfanzüge an und schmückten sich mit ihren Orden.

Mitten im Enteignungsgebiet haben die Opfer 2005 einen Ho-Chi-Minh-Tempel errichtet. Ho Chi Minh gilt im kommunistischen Vietnam als 'heiliger Landesvater' und als unantastbar. Im Ho-Chi-Minh-Tempel konnten sich die Geschädigten ungestört treffen. Dort fanden Rechtsberatungen für sie statt. Viele Protestaktionen wurden im Tempel vorbereitet.

Die Demonstration vom 22. November 2007 und die Folgen

Am 22. November 2007 trafen sich rund vierzig Opfer der Enteignung im Ho-Chi-Minh-Tempel. Von dort marschierten sie zum Gebäude des Volkskomitees des 9. Distrikts von Ho Chi Minh Stadt, wo sie die Verantwortlichen zur Rede stellen wollten. Rund 400 Polizisten begleiteten die Demonstration und riefen die Teilnehmer zur Einstellung des Protestes auf, schritten aber nicht ein. Vor dem Gebäude des Volkskomitees kam es kurzzeitig zu Rangeleien, als eine Gruppe von Unbekannten die Demonstranten angriff und versuchte, die Bilder von Ho Chi Minh, die Landesflaggen und die Transparente niederzureißen. Die Protestteilnehmer erkannten sie als Provokateure der Polizei. Die Polizei filmte die Rangeleien und verwendete später die Aufnahme als Beweismaterial gegen die Angeklagten. Nach einer Weile löste sich die Kundgebung von selbst auf, weil die Demonstranten mit den Verantwortlichen, die sich in dem Gebäude verbarrikadiert hatten, nicht sprechen konnten.

Drei Monate später, Anfang März 2008, wurden in einer groß angelegten Polizeirazzia dreizehn Teilnehmer - darunter fünf Frauen - verhaftet. Die Polizei warf ihnen vor, die öffentliche Ordnung während der Mahnwache am 22. Mai 2007 und der Demonstration am 22. November 2007 gestört zu haben.


Quelle: www.igfm.de